Sicherung des Fachkräftenachwuchses für die regionale Wirtschaft mit Blick nach Europa – Informationsbesuch und Podiumsgespräch

von | 9. März 2015

 

 

Der Europäische Rechnungshof arbeitet aktuell an Berichten zur Situation junger Menschen in Europa. Deshalb informierte sich Frau Iliana Ivanova, Mitglied des Europäischen Rechnungshofs, auf Einladung von Dr. Inge Gräßle MdEP über die Ausbildungsmöglichkeiten und Chancen junger Menschen  im Hohenlohekreis. Im Vordergrund stand, einen Einblick in das duale Ausbildungssystem zu erhalten, denn die enge Vernetzung von erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen mit einer fundierten schulischen Ausbildung ist ein wichtiger Faktor für die äußerst geringe Jugendarbeitslosigkeit in unserer Region.

Bei einer einführenden Gesprächsrunde im Landratsamt mit Andrea Wolf, zuständig für die beruflichen Schulen im Hohenlohekreis,  Schulleiter Gerald Bollgönn und Fabian Flügel, stellte sich für die Gäste als besonders interessant dar, wie früh junge Menschen im Zusammenhang mit der dualen Ausbildung Eigenverantwortung übernehmen, angefangen schon bei der Suche nach dem passenden Ausbildungsplatz und dem Abschließen des Ausbildungsvertrags. Als bemerkenswert empfanden sie außerdem die guten Chancen, nach einer erfolgreichen Ausbildung übernommen zu werden.

Anschließend fand ein Rundgang durch das Berufsschulzentrum Künzelsau statt. Die Gäste zeigten sich in der Kaufmännischen Schule besonders begeistert von den Übungsfirmen, die Schülerinnen und Schülern schon im Vollzeitbereich einen realistischen Einstieg in die Arbeitswelt ermöglichen.  Dieses Modell könnte laut Frau Ivanova durchaus in anderen Ländern erfolgreich übernommen werden. In der Karoline-Breitinger-Schule stellte Schulleiter Volker Stephan die Ausbildungsgänge Hauswirtschaft und Pflege sowie die Fördermöglichkeiten für ausländische Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen vor. Schulleiterin Ruth Henn zeigte schließlich an der gewerblichen Schule die hochmodern ausgestatteten Lehrwerkstätten für die gewerblichen Berufsfelder. Sie wies auf gesunkene Ausbildungzahlen in einigen Berufen und die damit verbundenen Nachwuchssorgen der reigionalen Unternehmen hin, ein Thema, dem an diesem Tag noch mehrfach begegnet werden sollte.

Bei einem Vor-Ort-Besuch der Firma Adolf Würth GmbH & Co. KG hatten die Gäste die Gelegenheit, das duale Ausbildungssystem hautnah zu erleben. Begrüßt wurden die Gäste von Herrn Volker Retz und Herrn Tomas Wagner. Joanna Häußler, Philipp Aschhoff und Felix Turtschan, alle Auszubildende zur/zum Kauffrau/-mann im Groß- und Außenhandel mit Zusatzqualifikation Internationales Wirtschaftsmanagement mit Fremdsprachen, führten in einem auf Englisch gehaltenen Vortrag in die duale Ausbildung bei der Firma Würth ein. Sie stellten besonders die gute Betreuung im Betrieb, die abwechslungsreiche Ausbildung und die Entwicklungsperspektiven im Unternehmen heraus.

Eine andere Form von Unternehmen lernten die Gäste anschließend mit der Firma Sauter Heizungstechnik GmbH in Kupferzell kennen. Im Gespräch mit  Martin Sauter und  den Auszubildenden Madlen Bauer, Marie-Theres Berger, Daniel Stirn und Tim Hofmann zeigte sich, dass auch ein kleinerer Betrieb eine fundierte duale Ausbildung auf hohem Niveau bieten kann. Überzeugt hat dies  Marie-Theres Berger, die eine Ausbildung zur Anlagenmechanikerin macht. Die technischen Herausforderungen und die abwechslungsreiche Tätigkeit hätten sie an diesem für eine junge Frau doch ungewöhnlichen Beruf gereizt und sie sei sehr zufrieden mit ihrer Wahl. Martin Sauter wies auf die Nachwuchssorgen der Handwerksbetriebe hin, obwohl sich hier attraktive Berufsmöglichkeiten bieten würden. Als Lösungsmöglichkeit sieht er unter anderem die Anwerbung von jungen Menschen aus Europa, die in ihrem Heimatland keine Arbeit finden. Dies selbst durchzuführen sei für einen kleinen Betrieb jedoch eine kaum zu bewältigende Aufgabe.

Um genau dieses Thema ging es nachmittags beim Podiumsgespräch, zu dem der Freundeskreises Kaufmännische Schule Künzelsau e.V. eingeladen hatte. In einem einleitenden Referat zeigte Volker Retz von der Geschäftsführung der Adolf Würth GmbH & CO. KG, dass eine wirtschaftliche Spitzenklasse-Region mit weltmarktführenden Unternehmen, geringer Arbeitslosenquote und Innovationspotential alles tun muss, um attraktiv für den Fachkräftenachwuchs zu sein – angefangen von Schul- und Studienabsolventen der eigenen Region bis hin zu Nachwuchskräften aus dem Ausland.

Klaus Jäger, Personalleiter der R. Stahl AG, verwies auf die Notwendigkeit unternehmerische, politische und gesellschaftliche Prozesse Hand in Hand zu gestalten, um eine Willkommenskultur für ausländische Facharbeiter zu entwickeln. Schon 1960 habe die Firma Stahl im Zuge der Anwerbung von Gastarbeitern erstmals ausländische Mitarbeiter aus Spanien eingestellt. Man dachte damals, man hole Arbeitskräfte, aber es seien Menschen gekommen, die sich in Deutschland ein Leben aufbauen wollten. Auch heute suchten die Menschen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern eine Perspektive in Deutschland und dementsprechend müssten wir sie auch empfangen. Gegenwärtig arbeiten bei der Firma Stahl Mitarbeiter aus 22 Nationen.

Interessiert verfolgten die Berufsschülerinnen und Berufsschüler, die mit ihren Klassen zu der Veranstaltung gekommen waren, welche Erfahrungen vier junge Menschen gemacht haben, die ihre Heimat verließen, um hier zu arbeiten. Teresa Matamoros Casas und Manuel Silva Gonzales aus Spanien, Alisa Vorobeva aus Kasachstan und Stavros Vrakas aus Griechenland zogen insgesamt eine positive Bilanz. Alle lobten die offene und freundliche Atmosphäre an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen bei Würth IT beziehungsweise bei R. Stahl. Es gebe enorme Möglichkeiten und auch die Zeit, sich zu entwickeln. Trotz kultureller Unterschiede fühlen sie sich auch privat in unserer Region sehr wohl.

Danach diskutierten  Dr. Inge Gräßle, Iliana Ivanova, Volker Retz, Klaus Jäger und Dietmar Niedziella, Leiter der Berufsbildung der IHK Franken über Konzepte, wie man professionell Arbeitskräfte aus andern Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit für deutsche Firmen mit Nachwuchssorgen gewinnen kann. Dabei wurde deutlich, dass Mobilität in Europa keine Einbahnstraße sein darf, sondern dass auch deutsche Jugendliche Erfahrungen im Ausland sammeln müssen. „Es ist nicht leicht miteinander auszukommen, wenn man verschieden ist, aber es ist notwendig, um weiterzukommen,“ so Dr. Inge Gräßle.

A. Braun